Als ich den Mann kenne lernte, hatte ich nicht allzu viel mit Jazz zu tun.
Ich hörte das eine oder andere schon mal ganz gerne, meine Freundin zerrte mich auch dann und wann in den einen oder anderen Jazzclub in Berlin, aber diesen absoluten Hype, den verspürte ich nicht.
Der Mann änderte das.
Als plötzlich hunderte alte und neue Jazzplatten aus Vinyl dann in unser erstes gemeinsames Zuhause mit einzogen, kam die Neugier, und dann irgendwann kam die Liebe.
Ich war vor 2 Wochen in New York. Das letzte Mal in dieser berauschenden Stadt hatte es mich zusammen mit dem Mann ins Village Vanguard verschlagen, DER Club der Stadt, der 1935 seine Türen zum ersten Mal öffnete, und in dem alle großen der Welt gespielt haben und spielen (auch Miles Davis und Art Blakey).
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Ich schaute im Internet, wer wo spielen würde und entschied mich für das Blue Note. Dieses Mal leider ohne Mann.
Der jedoch war neidisch, denn ich hatte die fantastische Möglichkeit, Stanley Clarke live und in Farbe zu sehen, und noch wichtiger: zu hören! Der Star seiner Jugend.
Ich erzählte meinem Italienischen Kollegen von meinem Plan, und er entschied mit seinen 11 Kunden (der Besuch in NYC war beruflicher Art) mitzukommen. Da er sich um die Tischreservierung kümmern wollte war ich einverstanden.
Ich arbeite mit einem Europäischen Team zusammen und habe mich über die Jahre an bestimmte Eigenheiten gewöhnt, mein Team auch an meine (hatten sie eine Wahl?). Meistens bedienen wir das ein oder andere Vorurteil ganz gerne, oder wir spielen nur ein wenig damit, oder wir tun das Gegenteil vom Erwarteten.
Ich kann schimpfen wie eine Südländerin mit Händen und Füßen, mittlerweile kann ich in Frankreich zum Mittagessen ein Glas Wein trinken, und zwar ohne danach direkt vom Stuhl zu kippen. Ich bringe mir extra Strickjacken und Schals mit, wenn ich in Irische oder Englische Meetings gehe, damit ich nicht mit einer Erkältung und halb erfroren zurückkomme, auch wenn alle anderen in T-Shirts dort sitzen, und wir Diskussionen über offenen Fenster und das Einstellen der Klimaanlage führen müssen. Ich kann um 22.00 Uhr zu Abend essen und auch um halb 7.
Mein Italienisches Team ist sehr strukturiert. Sie fangen mit ihren Meetings um 8.00 morgens an, machen wenige und nur kurze Pausen, und arbeiten bis abends durch.
Meine Kollegen lachen, wenn ich eine viertel Stunde vor Veranstaltungsbeginn gestriegelt und gespornt schon dort bin.
Meinen Eltern war das immer sehr wichtig mit der Pünktlichkeit, meinem Vater besonders, hatte er doch sein ganz persönliche Familientrauma, da meine Tante IMMER zu spät kam, und das wirklich konsequent, über 20 Jahre jeden Sonntag mindesten 10 Minuten zum Gottesdienst, und wahrscheinlich auch zu ihrer eigenen Hochzeit, aber das kann ich nicht belegen, da war ich noch nicht auf der Welt.
Zurück zum Blue Note.
Herr Clarke sollte um 20.00 Uhr anfangen zu spielen, und amerikanisch eingetaktet, kann man sich auch auf die Uhrzeit verlassen, denn um 22.30 spielt er den 2. Slot. Bis dahin müssen alle gegessen und den Laden wieder verlassen haben um den neuen Gästen den Weg frei zu machen.
Abends ist es in NYC immer voll.
Alle, wirklich alle wollen zum Abendessen ausgehen, keiner fährt selber, und jeder möchte seinen Weg möglichst von a nach b ganz bequem in einem Taxi verbringen.
Typisch Deutsch stand ich um halb 7 in der Taxischlange des Hotels um auch ja rechtzeitig um halb 8 an unserem reservierten Tisch zu sitzen.
20 Minuten später saßen mein Kollege und ich im Taxi, und weitere 35 Minuten später saßen wir am für 13 Personen reservierten Tisch, direkt neben der Bühne, mit bestem Blick.
Wir hatten Hunger, tranken schon mal ein Bier oder auch 2, und aßen das gesamte Brot auf, während wir auf die 11 fehlenden italienischen Kunden warteten.
Wir machten Beweis-Fotos und waren voller Vorfreude!
Die Zeit verstrich und niemand tauchte auf. Der Italiener neben mir (bestimmt hatte er auch irgendwo versteckte deutsche Vorfahren) wurde langsam ungeduldiger, telefonierte hier und da, und es machte sich ein leichtes Unbehagen bemerkbar.
Um 5 vor 8 waren wir noch immer alleine, um 3 vor 8 setze man uns 4 fremde Menschen an den Tisch, und um 2 vor 8 kamen 3 weitere Fremde dazu. Jegliche Diskussionen, unsere „ Freunde“ wären gleich da, half nichts- Hier zählte jeder besetzte Stuhl und zwar vor oder zu mindestens um 8 Uhr.
Wir mussten also gehen, ich konnte es kaum glauben, aber es fehlten uns ja 7 Plätze.
Am Ausgang trafen wir auf die fehlenden Teilnehmer unserer Gruppe, die Stimmungsverantwortlichen. Meine war definitiv mies.
Innerlich flippte ich aus, nach außen bewahrte ich Contenance.
Die Italiener waren sich keiner Schuld bewusst, lag doch alles am Verkehr und am Taxifahrer. Ich explodierte- … innerlich.
Ich konnte nichts sagen, alles was herausgekommen wäre, hätte diese Kundenbeziehung für die nächsten Jahrhunderte unwiderruflich beendet.
Ich versuche immer jeder Situation etwas Positives abzugewinnen, alles hat immer einen Sinn.
Ich suche noch immer….
Fräulein Lindemann