Unsichtbar.

Menschen reagieren auf äußere Einflüsse. Beeinflussen kann uns viel: Gerüche, Geschmäcker, Situationen.
Männer werden da eher nur von visuellem beeinflusst. Männer sehen halt gut. Nun gut, sie hören auch gut, zu mindestens, wenn ein 911 Turbo oder ein 1969 Ferrari aus der Ferne heraneilen.
Mit dem Sehen ist das aber so eine Sache, das ist eher selektiv.

Männer schauen auf kurze Röcke und auf dazugehörende Beine, sie sehen rote Lippen und blonde Haare. Bestimmte Körpervolumen blenden sie aus, auch wenn diese eigentlich nicht zu übersehen sind ( ich meine keine Brüste). Sie sehen rote Lippen und hohe Schuhe.

Ich bin seit über 20 Jahren Kontaktlinsenträgerin. Ich trage sie in 99% der Zeit, so dass viele Menschen in meiner Umgebung, selbst Freunde, überrascht sind, wenn sie davon erfahren. Ich bin kurzsichtig. Sehr? Genug. Nicht so viel wie meine Freundin Steffi, mit der ich in einer WG zusammengewohnt habe. Die machte mich irgendwann nachts ganz hektisch wach, ohne ihre 9 Dioptrien auf der Nase, und zeigte mit ihren Händen einen Abstand von ca. 20-30 cm und murmelte hektisch und aufgebracht, und mit einer leichten Panik in der Stimme, dass ein Tier in dieser Größe in ihrem Schlafzimmer sei.
Ich konnte mir spontan kein Tier dieser Größe, das nicht von uns offiziell ins Haus gebracht wurde und Hund oder Katze hieß, vorstellen, das sich in Steffis Schlafzimmer verirrt haben könnte, und nun an ihrer Wand saß.
Ich war mutig, vielleicht auch, weil ich dachte, sie hätte schon geschlafen, und ein kleiner Schlummer hatte Traum und Realität vermischt.
In ihrem Zimmer angekommen, wurde ich fündig.
Dort saß ein grüner 4 cm langer Flip (der aus „die Biene Maja“) und warf durch die Nachttischlampe einen etwa 20 cm langen Schatten an die Wand, der ohne Sehhilfe, quasi zum wilden Tier mutierte.
Wir ließen ihn frei.
Neulich hatte ich aus heiterem Himmel ein leichtes Brennen im linken Auge, hinzu kam ein winziges Fremdkörpergefühl, das jedoch mit weiterem Fortschreiten des Tages immer intensiver wurde, und irgendwann das Auge tränen ließ, und eine Rückfahrt mit dem Auto stark erschwerte.
Klappt ein Auge zu, neigt das zweite, ganz solidarisch, gerne auch dazu mit zuklappen, und mit geschlossenen Augen lässt es sich schwerlich fahren. Irgendwann hatte ich es geschafft.
Gut auf sämtliche mögliche Erkrankungen vorbereitet (Teenager mit Gerstenkorn) hatte ich Augentropfen da, von denen ich mir Linderung versprach.
Aber erst einmal mussten diese Linsen raus, nicht ganz einfach, wenn das Auge alles möchte, aber nicht sich öffnen.
Ich gewann und suchte meine Brille. Meine tendenziell eher großen blauen Augen verschwanden hinter den Gläsern und verwandelten sich zu schweinsartigen Sehschlitzen. Meine Welt war durch die Hornhautverkrümmung plötzlich wie Tim Burtons Alice im Wunderland, und ich sah aus wie eine strenge Sekretärin, die jeden Moment ihre Handtaschenpeitsche herausholen könnte, weil sie noch einem Nebenjob nachging.
Der Mann fand es super. Wir haben nicht genauer darüber gesprochen, warum. Ich nahm einfach seine Meinung entgegen, und ich stellte nichts infrage.
In der anderen Welt, außerhalb unserer Zweisamkeit musste ich jedoch feststellen, dass ich aus jeglichem Beuteschema der männlichen Welt zwischen 37-55 Jahren herausgefallen war. Ich existierte nicht mehr.
Ich war unsichtbar.
Egal ob Männer selber Flaschenböden auf ihrer Nase trugen, Bauch oder Glatze dazu, ich existierte nicht mehr in ihrer Welt und wurde keines Blickes gewürdigt.
Nach drei Tagen war meine Bindehautentzündung wieder verschwunden, ich baute noch einen Sicherheitstag ein und stellte am 5 Tag fest, wie unbekümmert und frei ich wieder sehen konnte, musste aber gestehen, dass ein paar Brillentage jedes fremde Lächeln wieder viel höher bewerten und mich viel öfter zurück lächeln lassen.

Ihr Fräulein Lindemann

 

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