Vor einigen Wochen trudelte eine „What´s app-Gruppeneinladung“ ein. 40-Jähriges Schuljubiläum und eingeladen waren alle ehemaligen Schüler. Ein ehemaliger Mitschüler startete diese kleine Gruppe.
Nach 2 Tagen waren wir mehr als 20 Leute in dieser Gruppe, und alle fingen an, Fotos von sich und ihren Kindern zu teilen, ebenfalls wurden Ehemänner und Haustiere (Pferde, Hunde und auch ein Huhn) gezeigt. Jeder stellte sich vor und gab einen Einblick seiner letzten 2 Jahrzehnte.
Interessant, was so eine Reunion so auslöst, viele alte Erinnerungen und Gefühle kamen hoch.
Plötzlich war ich wieder 13.
Welche Rolle hatte ich damals: war ich beliebt? Integriert? Mauerblümchen? Außenseiter? Wer von denen war mir nah? Und welche Gründe gab es, dass ich außer zu einer Person, zu niemand mehr Kontakt hatte?
Einige Fotos versöhnten mich, und ich dachte, okay, jeder hat halt seine Glanzzeiten in unterschiedlichen Jahrzehenten, und Falten machen offensichtlich vor niemandem halt, …Speckröllchen übrigens auch nicht, ebenso wenig wie Haarverlust.
Zu sehen, was aus uns allen geworden ist, war spannend.
Der Mann fragte nur: leben noch alle? So alt bin ich nun auch nicht, dachte ich mir, und schaute ihn entrüstet an. Natürlich leben noch alle. Von den Lehrern vermutlich nicht alle, aber selbst von denen, die ich früher für Methusalem hielt, sind immer noch einige im aktiven Schuldienst. Wie alt waren die damals denn dann wirklich?
Ich überlegte zusammen mit meiner damals engsten Freundin, ob wir gehen sollten, oder besser doch nicht. Wir entschieden zu gehen.
Seltsame Gefühle kamen hoch, sollte ich mir das echt antun? Hatte ich meine Schulzeit so positiv in Erinnerung?
Nein, hatte ich nicht, und damals war ich für die meisten Menschen in meinem Jahrgang quasi unsichtbar. Ich war mit höheren Jahrgängen befreundet und hatte zu viel mit mir selbst zu tun. Ich hörte andere Musik, ging in andere Discos (heute heißt es Club) und fuhr Vespa anstatt Moped. Ich mochte kein Bier, und ich trug keine Camel-Boots. Hatte ich schon gesagt, dass ich in einer Kleinstadt zur Schule ging, mit ländlichen Tendenzen?
Zurück zu den Fotos.
Eine schickte ein Foto neben ihrem Pony. Dazu schrieb sie, wer von beiden sie sei. Ich kommentiere die Nützlichkeit dieses Hinweises nicht.
Es gab auch eine Nonne und einen Punk.
Und dann gab es da noch Tina, sie schickte ein Foto mit ihrer Nichte.
Der Mann schaute auf, weil ich lachen musste, lehnte sich rüber zu mir um einen Blick zu erhaschen und fragte, wer denn der Mann da sei?
Wie er darauf kam?
Tina hat einen Schnorres. Einen sichtbaren, nicht zu verleugnenden Schnäuz.
Wir vergrößerten das Bild und schauten beide total fasziniert auf Tinas Oberlippenbärtchen.
Wie kam es denn dazu? Und wie uneitel muss man sein, um den voller Stolz zu präsentieren?
Der Rest von Tina sah ganz nett aus. Modisch, schlank- kein Herrenhaarschnitt.
Der Mann und ich überlegten welchen sinnvollen Grund es für diese Haargruppierung im Frauengesicht oberhalb der Lippen gäbe. Wie sieht so ein Schnäuz wohl mit Lippenstiftlippen aus? Wir kamen zu keinem Ergebnis.
Der Tag der Feier kam. Eine riesen Halle war angemietet um die erwarteten 1.300 Ehemaligen unterzubringen.
Unsere Gruppe traf sich an einem ausgemachten Platz vor dem Eingang. Mit Nonne und Punk hatten wir keine Probleme uns zu finden.
Es war eine echte Zeitreise.
Ich habe alle erkannt, jedoch konnten alle das nicht über mich sagen. Immer wieder sah ich, wie mir jemand auf die rechte Brust starrte, denn dort klebet mein Namensschild.
Die Nonne hatte die ersten 2 Gläschen Sekt getrunken, bevor ich mein Begrüßungsgläschen überhaupt abgeholt hatte.
Sie kannte alle Lieder und sang jedes davon mit. Sie tanzte den Makarena-Song und kannte jeden Tanzschritt. Sie ist eine coole Nonne.
Der Punk stimmte zu Udo Jürgens ein und war extrem textsicher. Entschuldigend blickte er mich an und sagte, er würde neben seiner Punkband auch in einer Coverband singen.
Tinas Schnorres war echt und leider keine Fotomontage um nur mal kurz alle zu schocken. Ich vergaß zu fragen, was sie davon abhält, ihn zu entfernen, oder was ihr daran so gefällt. (bin ich in ihren Augen hässlich, weil ich keinen habe?)
Ich bin um 3 Uhr morgens, todmüde und mit durchgetanzten Schuhen (kein Witz), ins Hotelbett gefallen.
Dort wartete der Mann, noch wach, und bereit, mich überall abzuholen und zu trösten, falls es in einer Katastrophe enden würde.
Es war keine, denn ich bin erwachsen geworden, und die anderen sind es auch.
Wir wollen uns jetzt regelmäßig treffen…mal schauen.
Ihr Fräulein Lindemann