Wie ist das mit der Erziehung? Kennen Sie das noch? `Kind, nimm den Arm beim Essen hoch, Mund zu, Gabel geht zum Mund, nein, nicht umgekehrt! „
Nein das ist kein `See food`! Niemand möchte das Essen sehen, jedenfalls kein Essen, was sich bereits im Mund im Zerkleinerungsprozess und schon minder bis stark im Einspeichelmodus befindet.
Grüßen! Immer! Den Nachbarn, den Briefträger…einfach jeden. Und wenn es nur ein Kopfnicken ist.
Ich erinnere, vielleicht war ich 10 oder 11, als ich mich mit Nachbars Tochter im Winter mit schneebedeckten Bürgersteigen (sehr rutschig und ein zusätzliches Risiko des Erwischtwerdens) zum „Mäusepingeln“ verabredet habe. Wissen Sie was das ist, Mäusepingeln? Klingeln und abhauen, und noch viel entscheidender: schnell abhauen und nicht erwischen lassen!
Ich bin nicht erwischt worden, Sarah schon, und ich bin sicher ihr rechtes Ohr ist seit diesem Abend länger als das Linke.
Zwei Tage später habe ich es meinem Vater erzählt. Eher aus dem Grund mich über Sarah zu echoffieren, wie kann man sich von einem über 70-Jährigen fangen lassen? Rutschiger Schnee hin oder her.
Ich habe nicht mit der Moral meines Vaters gerechnet. Nach genauster Beschreibung des Vorgangs und des Hauses, rief er höchstpersönlich dort an, (in einem Dorf findet man das recht zügig raus) und entschuldigte sich für mein freches Benehmen. Ich glaube die Frau am Ende der Leitung wusste den Vorgang in keinster Weise einzuordnen, aber das war meinem Vater egal. Er hatte Prinzipien, und dass seine einzige Tochter Mäusepingeln in der Nachbarschaft veranstaltete, gehörte sicher nicht dazu.
Mit 13 Jahren in Spanien, zu Besuch bei meiner spanischen Brieffreundin, ich erinnere mich noch sehr gut, gab es auch einen kleinen Fauxpas.
Wir standen vor Rosarios Tante und sie lächelte mich zu Begrüßung an und strich sich über ihre sonnengegerbten Wangen. Für mich selbstverständlich DAS Zeichen, und hier hatte ich schon dazu gelernt, denn in Spanien küsste sich jeder ständig und immer- zur Begrüßung, beim Verabschieden, oder einfach nur so- und stand somit selbstverständlich auf und gab dieser mir fremden Person einen Kuss links, und einen Kuss rechts, auf ihre wie schon beschriebenen braunen, schon etwas runzeligen Wangen.
Der Rest im Raum brüllte vor Lachen. Selbstverständlich konnte ich zu diesem Zeitpunkt, wie auch jetzt immer noch nicht, kein einziges Wort spanisch, ausser vielleicht „danke“ und „eine Coca Cola bitte“. Nun, jedenfalls lachten alle, und das einzige was mir diese Frau vorher zu verstehen geben wollte war, dass ich mir über den Tag einen leichten Sonnenbrand geholt hatte und meine Wangen nun von der Sonne gerötet waren- kein Wort davon, geküsst werden zu wollen.
Viel später, schon erwachsen (immer noch jung selbstverständlich) geschieht wieder ähnliches.
In einem Italienischen Restaurant in New York saßen vor einigen Monaten der Mann und ich an dem kleinsten Zweiertisch der Welt, direkt neben dem Hummerbecken in dem winzigsten, aber allerbesten Restaurant in Little Italy, als der Chef des Hauses zu uns kam und ganz smart mit dem Mann auf Italienisch sprach (er kann es sprechen), und danach etwas zu mir sagte. Ich würde sagen es war Italienisch, der Mann sagt, es war blütenreines Englisch (was ich im Allgemeinen sehr gut verstehe und spreche). Nun jedenfalls dachte ich mir, wo doch nun zwischen Cheffe und dem Mann eine Art Verbrüderung stattgefunden hat, ich würde nun auch endlich begrüßt. Ich stand also auf und gab dem Herrn (mein Vater wäre sehr stolz) meine Hand und stellte mich vor und teilte ihm mit, wie hoch erfreut ich war, seine Bekanntschaft zu machen.
Der Blick war die pure Irritation, und ich glaube mich zu erinnern, dass sogar sein Mund ein klein wenig offen stand. Was soll ich sagen, eigentlich wollte er nur ans Hummerbecken um einen kleinen Kerl für die Pasta am Nebentisch herauszuholen und vorzubereiten…
Es ist wohl überflüssig anzumerken, dass ich dann und wann noch immer Leute verunsichere, wenn ich Ihnen enthusiastisch meine Hand reiche, das Küssen habe ich eingestellt, wenn ich mir nicht 120% sicher bin ob und wie oft geküsst wird, in Momenten in denen das niemand von mir oder auch grundsätzlich erwartet, da es die Situation nicht unbedingt erfordert.
Aber ja, ich werde meine Erziehung weitergeben, an alle, ob sie wollen oder nicht, und ich bleibe stoisch dabei und lasse mich auch nicht von dem einen oder anderen peinlichen Moment daran hindern…
Fräulein Lindemann