COVID-19

Kennen Sie diese alten Worte, die plötzlich wieder auftauchen?
Manche davon kennen wir aus unserer Kindheit. „Schlickern“ zum Beispiel, also Süßes essen, oder sich „blümerant fühlen“. In den 80ern wir sind auf eine „Fete“ gegangen oder in die „Diskothek“.
Das Wort Schickeria (sehr bekannt aus „Kir Royal“- kennen Sie die Serie noch? Mittlerweile auch als Getränk wieder populärer) nutzt heute auch niemand mehr. Wer würde das heute wohl noch sagen?
Meine Omi sagte immer über die etwas reicheren Menschen, oder über die, die dachten sie seien etwas Besseres: die „Hottwollee“ (Haute Valleé) und sie benutze das Wort „hamstern“, wann immer es irgendwie passte.

Als Kind musste ich da immer lachen, da ich einen kleinen, hellbrauen Hamster mit riesigen, vollen Backen vor Augen hatte, aus denen er alles Nötige jederzeit hätte heraus ziehen können: Proviant für 3 Wochen, ein 2. Hamsterrad, einen guten Kumpel…

Meine Omi hat den 2. Weltkrieg als Mutter zweier Mädchen überstanden, mit Schwestern und Tanten auf dem Land, da wurde getauscht und Essen besorgt, und es wurde geschaut, dass jeder alles wirklich Nötige irgendwie zur Verfügung hatte.
Da wurde im Familienverbund für einander gesorgt, und man war solidarisch mit seinen Nächsten. Man war im Krieg, ob man wollte oder nicht.
Viele, sehr viele Menschen starben, wurden erschossen, verhungerten, erfroren oder ihre Häuser wurden zerbombt, und sie hatten nichts mehr.
Mütter verloren ihre Söhne, Frauen ihre Männer und Kinder ihre Eltern.
Alle hatten Hunger, aber es wurde geschaut, dass alle irgendwie satt wurden. Man sorge sich um- und füreinander.

Als kleine Extraherausforderung zum Krieg und die Nachkriegszeiten hatte meine Omi noch meinen Opi zum Mann, der als Musiker nicht wirklich zum Lebensunterhalt beigetragen hatte. Er war ein Künstler, und die wurden in dieser Zeit, außer mit viel Glück in kleinen Blaskapellen oder beim Schützenfest, nicht wirklich honoriert.

Er schenkte meiner Omi kurz nach dem Krieg noch ein 3. Mädchen. Wie meine Omi immer sagte, wo 2 Kinder sattwerden, werden auch 3 satt.
Mein Opi verließ kurz darauf meine Omi.
So musste sie nur noch für sich und drei Mädchen sorgen. Ein Erwachsener weniger. Diese Zeit machte sehr pragmatisch.

So lange ich denken kann hat meine Omi meiner Mutter bei jedem Besuch ein Fresspaket mit Mett- und Leberwürsten, Äpfeln, Butter und einem Päckchen Kaffee gepackt. Diese Versorgen und Essen mitgeben steckte in ihr drin. Auch mich macht Essen mit am glücklichsten ( @ Mann:… mit am. Nicht… am :-))

Ich kannh mich noch gut an unseren Keller erinnern als ich ein Kind war. Der glich irgendwie einem Supermarkt, denn da gab es eine riesige bis oben gefüllte Kartoffelkiste, irgendwo hing ein fetter Schinken, Toilettenpapier und Küchenrollen lagerten dort ebenfalls in Krankenhausmengen, Konserven und Marmeladen standen in den Regalen, und es gab einen Rumtopf. In der Waschküche standen zudem zwei riesige Kühltruhen, die bis zum Rand gefühlt mit 50 halben, in Schnitzel und Kotelett (und Schnibbelfleisch) zerkleinerten Tieren, 100 Kuchen und viel Eis (für den Rumtopf) gefüllt waren. Meistens hielt das Eis länger als der Rumtopf.

Wir hätten locker Monate überlebt. Nun gut, meine Mutter konnte nichts dafür, da waren wohl die Gene Schuld, und die frühe Prägung.
Bei meinen Tanten im Keller sah es ähnlich aus. Eine hatte sogar eine Obst- und Gemüseplantage. Sie wollte wohl ganz sicher sein.

Ich habe auch gerne alles da, nicht nur Essen, auch Schuhe, T-Shirts und Hosen.
Sogar Kissenbezüge habe ich gerne in größerer Auswahl da. Aber auch ich kann nichts dafür. Es steckt auch in mir.

Die Kinder und der Mann nennen mich gerne Frau Faber Castell, denn ich habe auch gerne Büroartikel zuhause und könnte ganz leicht einen Büroartikel-Laden eröffnen. Ich habe zuhause alles da, vom Minitacker, über Geodreieck und Zirkel, bis hin zu sämtlichen zur Verfügung stehenden Briefumschlägen, Stempel, Ordner und Klarsichthüllen. Klar, Papier mit unterschiedlichen Qualitäten und Grammzahlen selbstverständlich auch.
Hier kann ich auch nur auf meine Familiengeschichte verweisen und schulterzuckend sagen: nicht meine Schuld.

Heute finden wir uns auch in einer Situation wieder, in der gebunkert, gehamstert, wird.

Wir erleben derzeit einen Ausnahmezustand, einen Krieg ohne fassbaren Gegner. Die Sorge der Menschen wächst, und plötzlich ist sich jeder selbst am nächsten.
Die Generationen, die nicht die Vergangenheit meiner Omi haben, verhalten sich rücksichtslos, unsolidarisch und egoistisch.
Ich rede nicht vom Toilettenpapier, dem ich 2 Wochen hinterherlief und mich am Schluss mit einem 2-lagigen mit Fischen, Meerjungfrauen und Wassermännern zufriedengeben musste, und was mich tatsächlich sehr glücklich machte.
Auch nicht von den leergekauften Regalen, in denen zuvor Pasta in allen Farben und Formen stand, und der Mann und ich dem Kind ein Fresspaket an den Studienort schicken mussten, weil es in Frankfurt plötzlich keine einzige Nudel mehr gab.

Ich rede von Partys und Gruppentreffen, vom Irrtum die Quarantäne mit Urlaub oder Ferien zu verwechseln, sich an Desinfektionsmitteln und Gesichtsmasken finanziell zu bereichern und alles wegzukaufen, davon, unsere älteren Generationen nicht schützenswert zu behandeln, von Nerven, die völlig blank liegen.
Davon, dass wenn man auf offener Straße hustet, selbstverständlich in den Schal, sonst immer in die Armbeuge, von fremden Menschen, nur durch das Hustgeräusch getriggert, angeschnauzt wird und Belehrungen bekommt, weil sie in ihrer Panik nicht mehr richtig hinschauen.
Der Mann lacht da nur und ruft hinterher: ah, die Hustenpolizei kontrolliert wieder, ruhig mal besser hinschauen!
Ich platze fast, war zunächst jedoch so sprachlos, dass mir erst mal nichts Gescheites dazu einfiel, und danach wollte ich der Frau nicht auf offener Straße Bosheiten hinterherbrüllen.
Nun gut, ehrlicher Weise haben wir die Hustenpolizistin noch 400 m lang verfolgt, sind aber nicht mehr in Rufnähe gekommen (auf den Mann ist Verlass und der macht so eine Walking-Tour durch den halben Ort mit), und irgendwann war es dann auch gut.

Auch mich macht diese Zeit (scheinbar) aggressiver, und das, wo niemand den wir kennen vom Virus infiziert wurde, wo es den Mann und mich finanziell nicht ruiniert, so wie einige unserer Freunde, wir unsere beruflichen Existenzen nicht infrage stellen müssen, oder unsere Reserven aufbrauchen und nicht wissen, wie ein „Nach-Corona“ aussehen wird.

Ich versuche dankbarer zu sein, für unsere Gesundheit und die unsere Lieben!

Und ich freue mich auf die Zeit danach…

Fräulein Lindemann

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.